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  • Übersicht und Verständnis

"Mensch-Sein": Übersicht und Verständnis psychischer Besonderheiten/Störungen

Doppel-Dialoge mit Experten aus persönlicher und beruflicher Erfahrung

Meist sehen wir psychische Erkrankungen als etwas Fremdes an, das immer nur andere betrifft. Doch der Übergang zwischen Gesundheit und Krankheit ist fließend – seelisch wie körperlich. Was haben die verschiedenen "Störungsbilder" mit uns allen zu tun? Wo sind sie nicht nur fremd und normabweichend, sondern verdammt nah und zutiefst menschlich? Was in Krisen als Bewältigungsstrategie beginnt, kann eine Eigendynamik entwickeln und uns (meist vorüber-gehend) arbeitsunfähig machen und zur Krank-Schreibung führen.

Das Risiko, psychisch zu erkranken, ist dennoch nicht für alle Menschen gleich. Je ärmer Sie sind und je prekärer Sie leben, desto näher rückt eine psychische Erkrankung und umso schlechter sind Ihre Heilungschancen. Die Lebensbedingungen und die Ökologie spielen eine wichtige Rolle bei Erkrankung und Genesung: Je größer die Diskrepanz zwischen arm und reich, desto höher ist die Rate psychischer Erkrankung. Zu viel oder zu wenig Arbeit kann kränken und krank machen. Studien legen nahe, dass jedes Grad Erderwärmung  den Lebens-Streß und damit die Wahrscheinlichkeit psychischer Erkrankung um 1% erhöht. Entsprechend verweisen alle Bemühungen um Prävention auf die Verantwortung der Politik.

Im Folgenden äußern sich jeweils ExpertInnen aus eigener Erfahrung und mit beruflichem Hintergrund zu verschiedenen Aspekten psychischer Störungen – zunächst zu Depression, Manie, Borderline-Störung, Sucht, Psychose, Angst und Zwang. Weitere Doppelinterviews werden folgen.  Ziel ist, Angst zu reduzieren, die menschliche Vielfalt zu verdeutlichen und entsprechende Hilfen einzufordern. 


Depression – die Eigendynamik eines Schutzmechanismus

Es geht um diese Fragen: Depressionen gelten als Volkskrankheit. Sind sie deshalb typisch deutsch? Depressionen sind nicht zu verwechseln mit Trauer, eher ein Zustand der Fühllosigkeit – sind wir unfähig geworden zu trauern? Bis wann ist es ein Schutzmechanismus, nicht zu fühlen, ab wann eine Katastrophe? Welche Bedeutung hat der Verlust des Zeitgefühls? Welche Rolle spielen Belastungen bei der Arbeit und biographische Konflikte. Was hilft und was können wir präventiv tun? Wie gelingt die Balance von Beistand und Entlastung, von Ernst nehmen und Ermutigung?

Prof. Dr. Sönke Arlt, Chefarzt der Psychiatrischen Abteilung des Albertinen-Krankenhauses, Hamburg; Rolf Sieck, “Irre menschlich Hamburg e.V.“


Bipolar – besondere Spannweite von Stimmung und Antrieb

Im zweiten Doppel-Dialog geht es um die Manie als einer Möglichkeit einer Flucht nach vorne raus aus der Depression. Wir sprechen von einer Bipolaren Störung und meinen damit die besondere Spannweite hinsichtlich Stimmung und Antrieb nach unten und oben.  Die Manie als Gegenpol kann kreativ und schillernd, aber manchmal auch beschämend und zerstörerisch sein. Sie kann den Weg aus der (depressiven) Überanpassung weisen, aber auch die nächste Depression vorbereiten.  Was unterscheidet die Bipolare Spannweite von den Stimmungsschwankungen, die wir alle kennen? Ist unser Zeitgefühl entscheidend? Können wir vorher und nachher noch unterscheiden? Wir brauchen ein Gegenüber, um uns zu spiegeln, zu halten, zu begrenzen. Wir brauchen Hilfen, die nicht kränken, die niedrigschwellig und kontinuierlich zur Verfügung stehen, die nahe Angehörige selbstverständlich einbeziehen. Ein starkes Plädoyer für mehr Engagement der PsychotherapeutInnen in Kooperation mit Psychiatrischen Institutsambulanzen und Peer-Support.

Dr. Hans-Peter Unger, ehem. Chefarzt des Zentrums für seelische Gesundheit des Asklepios Klinikums Harburg; Margrit Grotelüschen, Genesungsbegleiterin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf


Persönlichkeitsstörungen – Wer stört wen warum?

Beim dritten Beitrag geht es um Persönlichkeitsstörungen – mit der Frage "Wer stört wen warum?" und einem Fokus auf die Grenzgänger- (Borderline-) Erfahrung: Wir möchten uns unterscheiden, Eigenheit bewahren. Wir sprechen von akzentuierten Persönlichkeiten und von Persönlichkeitsstörungen? Wo ist der Übergang, welche Rolle spielt der soziale Kontext? Was gilt es zu lernen von und für Menschen mit Borderline Erfahrung? Was steckt hinter den vordergründigen Konflikten, hinter Selbstverletzung und Suizidalität? Welche Rolle spielen traumatische Erfahrungen, welche die Ressourcen? Wie schaffen wir es, dass nicht die einen zu viel, die anderen zu wenig Hilfe bekommen? Die Diagnose steht infrage – auch weil wir es schaffen müssen, die persönlichen Konflikte wahrzunehmen und nicht bestimmte Muster zu verstärken. Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) wurde von Marsha Linehan geprägt, die nach ihrer beruflichen Tätigkeit auch eigene Krankheitserfahrungen offen machte. Die Gesprächspartner plädieren für eine Ergänzung der DBT durch das Trainingsprogram STEPPS ( dt. "Erkennen von Emotionen und Problemlösen systematisch trainieren"), für den Vorrang ambulanter Strukturen und für mehr Respekt vor der Verschiedenheit der Menschen – mit und ohne Diagnosen.

Dr. Ewald Rahn, ehem. Chefarzt LWL-Klinik Warstein;  Dr. Christiane Tilly, Mitarbeiterin in einer psychiatrischen Klinik, mit eigener Krisen- und Behandlungserfahrungen


Sucht – eine Form von Suche und Versuchung?

Sucht ist verbreitet und vielfältig – kann auf Stoff oder Handeln bezogen sein. Es war ein Fortschritt, Sucht nicht mehr als Sünde oder Versagen, sondern als Krankheit zu begreifen; doch die Balance zwischen Abhängigkeit und Freiheit sowie zwischen maßvollem und maßlosem Handeln oder Begehren betrifft jeden Menschen. Anthropologisch haben Rauschzustände eine lange Geschichte; doch waren sie möglicherweise früher stärker kulturell eingebunden. Was bedeutet das für die notwendige Vielfalt von Hilfen und Prävention? Warum haben manche Menschen ein höheres Suchtrisiko als andere? Gibt es Beziehungserfahrungen und Arbeitsbedingungen, die vor Sucht bewahren oder hineintreiben können? Warum sollten Angehörige mehr einbezogen und Strukturen flexibler werden und Therapeuten weniger verurteilen und vollständiger wahrnehmen? Ein Plädoyer für mehr Individualität in der Suchthilfe und mehr Politik in der Prävention

Dr. Martin Reker, Chefarzt der Suchtklinik Bethel; Timo Schüsseler, suchterfahrener Autor


Angst als überlebenswichtige Fähigkeit / Zwang als Bewältigung?

Angst ist eine überlebenswichtige Fähigkeit, Angstbewältigung die Basis jeder Kultur oder Religion. Warum läuft sie manchmal aus dem Ruder? Rituale können Ängste bändigen. Vielleicht bietet unsere Kultur inzwischen zu wenig davon. Greifen wir deshalb auf Zwänge zurück? Wann und warum wird aus dem Schutzmechanismus ein Gefängnis? Welche Rolle spielt Psycho-therapie? Ergänzen sich die Schulen? bewegen Sie sich aufeinander zu? Welche Rolle spielt, dass Existenzängste heute berechtigter sind denn je. Wie können wir konstruktiv umgehen mit unserer gemeinsamen Angst um die Natur, den Frieden, die Solidarität, unsere Gemeinschaft, um die Welt? Wird die Unterscheidung von gesunder und kranker Angst dann sinnlos?

Prof. Lena Jelinek, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf; Ralf, “Irre menschlich Hamburg e.V.“


Psychose – eine besondere Form der Dünnhäutigkeit

Unsere Haut kann durchlässig werden, sodass innere Dialoge zu äußeren werden und reale Bedrohungen/Informationen uns filterlos (be)treffen. So reagieren wir in Psychosen oft schneller nicht nur auf vermeintliche, sondern auch auf reale Gefahren – fast wie Seismographen. Was bedeutet das angesichts der aktuellen Bedrohung der Welt? Zugleich erscheinen Psychosen wie ein Ringen um Selbstverständlichkeit und wie ein Zustand, in dem plötzliche Nähe und Enge bedrohlich wirken kann. Wir brauchen dann für unsere existentielle Versicherung ein Gegenüber, brauchen Beziehungen, die uns spiegeln, halten, zugleich Raum für Autonomie und ein konstruktives therapeutisches Milieu. Wie schaffen wir eine Beziehungs- und Behandlungskultur, die weniger Angst macht, weniger Stigma fördert,  Eigen-sein sichert, ohne Schutz zu vernachlässigen? Egal in welchem Setting – ambulant, stationär und aufsuchend zuhause? Welchen besonderen Stellenwert haben Psychotherapie und Genesungsbegleitung?

Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Charité Berlin Mitte; Gwen Schulz, psychoseerfahrene Genesungsbegleiterin der Klinik für Psychiatrie und Psychotehrapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.


Mehrwert doppelter Erfahrung - trialogischer Rückblick

Mit diesem trialogischen Rückblick schauen Gwen Schulz, Dr. Sabine Schütze, Marion Ryan auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der bisherigen Themen, ergänzen z. B. die Angehörigenperspektive und betonen den großen Gewinn, den Menschen mit Doppelerfahrung in den Diskurs und in die Versorgung einbringen. Wir plädieren gemeinsam dafür, dass überall in Psychiatrie und psychosozialer Versorgung Genesungsbegleiter:innen und Angehörigenberater:innen beschäftigt werden.  


2. Teil:  “MENSCH SEIN UND -BLEIBEN – Verständnis und Behandlung psychischer Störungen“

Gwen Schulz, Prof. Dr. Thomas Bock und Dr. Sabine Schütze et al.


Suizidalität – Ausdruck von Freiheit und Verzweiflung

Die Möglichkeit das Leben infrage stellen zu können, unterscheidet den Menschen von den meisten anderen Lebewesen; es in bestimmten Situationen überhaupt nicht mehr spüren oder würdigen zu können, kann Ausdruck großer Not sein. Warum ist es wichtig, zwischen lebensmüden Gedanken und suizidalen Impulsen zu unterscheiden? Wo müssen wir geduldig beistehen, wo einer suizidalen Dynamik entgegenwirken? Warum ist Vorhersage sehr schwierig, Prävention aber auf mehreren Ebenen dennoch möglich? Wie können wir ins Gespräch kommen? Warum kann oder muss Suizidalität so viel Angst machen, obwohl die Häufigkeit von Suiziden kontinuierlich abnimmt? Wo ist das Sterben-wollen hinzunehmen? Warum ist Suizidassistenz bei Menschen mit psychischer Erkrankung auch unabhängig vom freien Willen fragwürdig?

Prof. Dr. Thomas Bock im Gespräch mit Prof. Dr. Tobias Teismann, Uni Bochum, und Christina Meyn, Genesungsbegleiterin Lüneburg

Weiterführende Informationen zum Programm "8 Leben", das im Gespräch angesprochen wird: https://8leben.psychenet.de/


Autismus – eine besondere Form des “für sich Seins“?

Keine Krankheit, sondern eine Entwicklungsstörung; vielleicht nicht einmal Störung, sondern Ausdruck der Neurodiversität/ Vielfalt des Menschen. Was ist trotzdem typisch – von der Reizfilterschwäche bis zur Unabhängigkeit von sozialen Normen? Was brauchen Menschen mit diesem Hintergrund – bezogen auf Lebensbedingungen und Entwicklungshilfen? Wie wichtig sind Geduld und Empathie, Anerkennen der Individualität und Wahrnehmung der Stärken? Welche Risiken drohen, wenn das nicht gegeben ist – in Kindheit, Schule, Ausbildung und Beruf? Welchen Unterschied machen Selbstfindung und Fremdzuschreibung? Warum scheint sich die Geschlechter-Verteilung anzunähern? Gibt es eine Zunahme der Erfahrung (geschätzt 1%) oder eine größere Akzeptanz der Diagnose? Welche Rollen spielen berühmte Menschen und Selbstvertretung? Was ist der gesellschaftliche Nutzen für uns alle, wenn wir unser Bild des Mensch-Seins erweitern?

PD Dr. Daniel Schöttle, Chefarzt Asklepios Klinik Harburg; Dr. Imke Heuer, AG sozialpsychiatrische und Partizipative Forschung UKE und autSocial e.V.; Antje Horn-Engeln, Elternverein Autismus Hamburg e.V.


Trauma-Erfahrungen – trotzdem lebendig bleiben

Was ist ein Trauma? Welche Unterscheidungen sind in Bezug auf den Begriff wichtig? Ab wann wird ein Trauma erinnert oder verdrängt, bedingt oder unbedingt wirksam, überwindbar oder tragbar? Hat jeder Mensch mit psychischer Erkrankung etwas erlebt, was das eigene Fassungsvermögen sprengt? Ist das immer ein Trauma? Was brauchen wir, um Traumaerfahrungen zu überwinden oder zu integrieren? Wie kommt Resilienz zustande? Was kann/muss Psychotherapie bieten zwischen den Polen Alles oder nichts/Ignoranz oder Konfrontation. Was macht den therapeutischen Raum aus? Balanceakt zwischen Licht und Dunkelheit, Respekt? Warum ist Anteilnahme wichtig und Wegnehmen eigentlich unmöglich.

Prof. Dr. Dorothea von Haebler, Leiterin des Masterstudiengangs "Interdisziplinäre Psychosentherapie", Internationale Psychoanalytische Universität Berlin & Charité Berlin; Gwen Schulz, Genesungsbegleiterin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf


Mit Demenz leben – trotzdem dazugehören

mmer mehr Menschen werden dement – in unterschiedlicher Form. Je älter wir werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit. Schon jetzt ist fast jede Familie betroffen. Wie wird Demenz erlebt? Was ist hilfreich und nötig, um eine positive Lebenseinstellung zu behalten oder zu gewinnen. Welche Unterstützung brauchen Angehörige? Welcher Spielraum bleibt – medizinisch und vor allem sozial? Die Stadt Gütersloh hat politisch entschieden: Niemand wird allein gelassen, niemand ausgegrenzt. Alle Bürger:innen bekommen ein nachbarschaftlich unterstütztes lebensnahes Angebot. Eine Initiative Pflegehof im wendländischen Dorf Zernien plant eine Dorfgemeinschaft. In den Niederlanden ist daraus bereits eine Bewegung geworden; auf sehr vielen Höfen entstehen ökologische und soziale Räume. Mit Gewinn für alle – für Betroffene, Angehörige und Pflegende. Eine solidarische Entscheidung der Politik für eine Lebensqualität aller. Demenz verliert ihren Schrecken, wird zu einer lesbaren Erkrankung wie viele andere auch. Warum nicht überall so? Ein erstaunlich opitimistisches Gespräch mit klarem Auftrag an die Kommunalpolitik.

Dr. Bernd Meißnest, Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie, LWL-Klinikum Gütersloh; Holger Hasse, Angehöriger & Co-Gründer der Initiative Pflegehof in Zernien; Katharina Rosteius, Doktorandin für Greencare Farms für Menschen mit Demenz; Rainer Heydenreich, Pensionär und Beiratsmitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V.


König Alkohol - zu Hans Fallada und Joseph Roth

Ein neuer Beitrag zur Reihe “Seelen:Lese“ Ernest Hemingway, William Faulkner, Dorothy Parker, Marguerite Duras, Uwe Johnson – viele Schriftsteller:innen waren Alkoholiker:innen, haben geschrieben – und getrunken. Joseph Roths Novelle “Die Legende vom heiligen Trinker“ (1939) und Hans Falladas Roman “Der Trinker“ (1944) sind starke Texte, geschrieben von zwei alkoholkranken Autoren, die sich selber zerstörten und doch zugleich uns großartige Werke hinterlassen haben. In einer Collage skizzieren wir ihr Leben und stellen diese beiden Texte Roths und Falladas vor.

Verena Kammerer, Berlin; Dr. Torsten Flögel, Berlin; Produziert dank freundlicher Unterstützung durch die Ruth-Fricke-Stiftung


Trialogischer Austausch und Rückblick

Welche Konsequenzen ergeben sich für unser Zusammenleben, unser Mensch-Sein, für unsere Behandlungs- und Beziehungskultur? Wie gewinnen wir die Politik für Entscheidungen zur Integration von Menschen mit Demenz wie in Gütersloh und in den Niederlanden? Wie schaffen wir gesellschaftliche Bedingungen zur Akzeptanz von allen Menschen mit Autismus? Wie füllen wir den Anspruch an Biodiversität mit Leben, um das Risiko von Stigmatisierung und Ausgrenzung auf allen Ebenen zu mindern? Was hilft uns resilienter zu werden gegenüber individuellen Traumata, zugleich sensibler und wehrhafter gegenüber der zunehmenden gesellschaftlichen Bedrohung? Trialogische Reflexion mit Gwen Schulz, Dr. Sabine Schütze und Marion Ryan


3. Teil: “DIE WELT IN DER KRISE: Eine Herausforderung für die Seele“

Die Bedeutung von “Krise“ hat sich geändert: Sie ist nicht mehr vorrangig subjektiv und individuell; sie kommt zunehmend von außen, Menschen-gemacht, und betrifft uns alle – mehr oder weniger. Wir müssen uns alle damit auseinandersetzen. Wir fühlen die reale Bedrohung dieser Welt durch Umweltzerstörung und Klima-Krise. Wir spüren, dass der Krieg näher rückt, denken an das unendliche Leid, das er für Zivilbevölkerung und Soldaten bringt. Wir verzweifeln an dem, was Menschen einander antun und wie wir alle zusammen unsere eigene Lebensgrundlage zerstören – in Krieg und Frieden. Wir fürchten die Entsolidarisierung und das Schwarz-Weiß-Denken in den Medien – oder wir vermeiden, das alles an uns heranzulassen, leben wie immer, fordern unbegrenzt Wachstum, Tempo, Aufrüstung. Was ist gesünder, was ist berechtigter? – Welcher Auftrag an die Politik ergibt sich, wenn wir die innere Welt, den inneren Frieden ernst nehmen?

Gwen Schulz, Prof. Dr. Thomas Bock, Marion Ryan et al.


Angst um diese Welt – wahrnehmen oder verleugnen

Klima-Katastrophe, Arten-Sterben. Unsere Lebensgrundlagen sind bedroht. Was bedeutet es, das (z. B. in Psychosen) ungeschützt wahrzunehmen? Welchen Preis zahlen wir für das Verleugnen? Können wir lernen, dass weniger mehr ist, dass Wachstum nicht mehr das Maß aller Lebensqualität ist? Und schaffen wir die dafür notwendige soziale Gerechtigkeit? Gesunde Ernährung, Mobilität, Stadtplanung und eine intakte Natur sind nicht nur für die Bewältigung der Umweltkrisen essenziell, sondern auch für unser seelisches Wohlbefinden. Schaffen wir es Klima-Politik positiv als Beitrag für Lebensqualität und Sozialraum zu verstehen, anstatt sie negativ mit Verbot und Verzicht zu besetzen? Eine gigantische Herausforderung, erst recht in der momentanen Weltlage. Machen wir Druck auf die Politik? Mischen wir uns ein? Machen wir die Angst um diese Welt zum Thema – auch in Therapien? Oder werden wir demnächst eine neue Angststörung erfinden und das Problem psychiatrisieren?

Annika Kruse, Fridays for Future Hamburg; Jan Frehse, Psychologists for Future e.V.; trialogische Impulse: Gwen Schulz, Genesungsbegleiterin und Marion Ryan, Angehörigen-Begleiterin; Moderation: Prof. Dr. Thomas Bock


Krieg, Flucht, Vertreibung – Vergessen wir die eigene Erfahrung?

Vor allem Kriege schaffen Traumata und bedingen Flucht – in der ganzen Welt. Was sind die Folgen von kriegsbedingten Traumata – bei jungen Flüchtlingen und in unserer eigenen Geschichte? Wann und warum sind oft mehrere Generationen betroffen? Welche Rolle spielen Alter und Kultur? Was ist hilfreich – therapeutisch und politisch? Welche auch positive Rolle spielen die “zauberhaften“ Erklärungen anderer Kulturen? Warum hängt das Risiko von Flüchtenden, psychotisch zu werden, mehr von der Ankunft ab, als von Herkunft und Flucht? – Von „Wir schaffen das!“ (Kanzlerin Merkel) zu „Die sollen weg“ (AfD): Wie ist dieser Wandel zu erklären und wieder zu verändern? Kippen wir von “manischer“ Verdrängung/Unkonventionalität in “depressive“ Abwehr und zwanghafter Erstarrung? Oder sind politische Fehler, soziale Ungerechtigkeiten entscheidend? Kann das Erinnern helfen, wieder sensibler zu werden – bezogen auf Kriegserfahrung in der eigenen Familie und bezogen auf unsere Verantwortung für Folgen der Kolonialzeit? Gibt es Denk-Verbote – z. B. bezogen auf die Kriege in Gaza und der Ukraine? Und wenn ja, warum? Wie gewinnen wir unsere Rationalität zurück angesichts der vielfach komplexen Situation, statt uns an Krieg und “Kriegstüchtigkeit“ zu gewöhnen?

Prof. Thomas Bock im Dialog mit Dr. Areej Zindler, Leiterin der Flüchtlingsambulanz im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und PD Dr. Ulrich Lamparter, Psychoanalytiker, Autor “Hamburg im Feuersturm“


Einsamkeit – Volkskrankheit oder politische Herausforderung?


Verrohung und Verachtung – macht Hass krank?


Über die Brüchigkeit und Stärke des Menschen – “Schachnovelle“ von Stefan Zweig


Trialogischer Austausch – Konsequenzen der Bedrohung


4. Teil: “SEELISCHE NOT VON KINDERN UND JUGENDLICHEN“

Angst und Unsicherheit nehmen zu – besonders bei Kindern und Jugendlichen. Sensibilität und Toleranz sind mehr denn je bedroht – auch unter jungen Menschen. Selbstverständlich waren sie nie. Jetzt müssen wir darum fürchten – und kämpfen. Das Klima verändert sich – auch im Inneren. Der Frieden ist bedroht – auch der untereinander. Wer Angst vor Fremdem schürt, bedroht auch die, die gelegentlich sich selbst fremd werden. Wer die Vielfalt bekämpft, trifft alle. Ändert sich der “Zeitgeist“ nachhaltig? Die Reihe “Mensch-Sein“ kämpft um eine anthropologische und nicht nur pathologische Sicht auf menschliche Besonderheit und psychische Ausnahmezustände. Dem dienen Doppel-Dialoge mit persönlichen und beruflichen Expert:innen. Diesmal soll die psychische Situation von Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt stehen. Nach der aktuellen COPSY-Studie beziehen viele Kinder und Jugendliche ihre seelische Not auf die Welt-Situation, auf die realen Krisen und näher rückenden Kriege! Das ist erschreckend und ermutigend zugleich. Es erstaunt nicht wirklich, aber müsste es nicht in erster Linie politische Konsequenzen haben? Welche Rolle hat hier Psychiatrie? Was können wir tun, was nicht? Ähnliche Fragen stellen sich im Zusammenhang mit ADHS, Long Covid und anderen Corona-Langzeitfolgen sowie im Umgang mit der Wechselwirkung von Psychose und Sucht. Interessieren soll auch, wie jung Menschen selbst über ihre Krisen sprechen – mit wem (nicht) und welchen Worten.


Angst von Kindern und Jugendlichen um die Welt – Aufgabe der Psychiatrie?


Warum hört das nicht auf? Long Covid und andere Corona-Langzeitfolgen


Henne oder Ei? Wechselwirkung von Psychose und Sucht

Werden Psychosen durch Drogen ausgelöst? Oder sind Drogen, ein Versuch, sich abzudichten gegen präpsychotische Durchlässigkeit? Wie facettenreich ist diese Wechselwirkung? Was hilft? Was bringt den Wendepunkt im Leben – auch jenseits des Hilfesystems? Welche Rolle spielen Spiritualität, neue Lebensaufgaben, Beziehungen? Und jenseits von “Henne oder Ei?“: Wie lebt die Henne? – Wie wird das Hilfesystem erlebt? Wie akzeptierend und niedrigschwellig kann/muss Hilfe sein? Wie überwinden wir die Trennung der Behandlungsstrukturen nachhaltig? Wie erreichen wir auch die, die über die Doppelerfahrung wohnungslos werden?

Ein trialogisches Gespräch von Thomas Bock mit Dr. Aljosha Deen, Oberarzt Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll, Marion Ryan, Angehöroge und Amon Barth, Autor


ADHS – Viel Aufmerksamkeit für ein Defizit!


Was folgt? Ein trialogischer Rückblick

Wenn Jugendliche ihre seelisch Not gesellschaftlich begründen, ist das alarmierend und ermutigend zugleich. Doch was folgt? Wenn die Unruhe zunimmt, Corona nicht aufhört und Corona-Folgen nachwirken, wer ist zuständig? Wenn es beim Thema ADHS gleichzeitig zu hohe und zu niedrige Schwellen gibt, was folgt daraus? Wenn Psychose und Sucht nicht nur in Wechselwirkung stehen, sondern es dahinter auch um sehr reale soziale Konflikte und oft auch um prekäre Lebensbedingungen geht, wer zieht therapeutische, wer politische Konsequenzen? Wenn Symptome überdauern, wieviel Geduld haben wir? Wenn sich Menschen nicht als krank, sondern als divers verstehen, hat das emanzipatorische oder resignative Bedeutung?

Trialogische Reflexion mit Gwen Schulz, Dr. Sabine Schütze und Marion Ryan


Hier sollen weitere Doppel-Dialoge folgen (Kontakt über Thomas Bock, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. oder die Kontaktdaten des Vereins).

Produktion: Thomas Bock/“Irre menschlich Hamburg e.V.“

Technische Realisation: Marie Eissing (Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)

Mit freundlicher Unterstützung der Hamburger Sozialbehörde